Mozarts Grab

Ich gebe zu ich bin vielleicht parteiisch. Immerhin habe ich mich recht aktiv daran beteiligen können, wie in der herrlichen Stadt Salzburg das Erbe Mozarts gepflegt und gefeiert wird.

Aber als Wiener würde ich mich schämen. Es wäre mir so unendlich peinlich.

05. Dezember 1791

Wolfgang Amadé Mozart stirbt am 05. Dezember. In Wien. Kurz vor ein Uhr morgens. Erst vor zwei Stunden war er (endlich) nach langen Qualen und Schmerzen bewußtlos geworden.

Wann genau er in dem anonymen Schachtgrab auf dem St. Marxer Friedhof weit außerhalb der Stadt Wien beerdigt wird, wissen wir nicht. Es gibt plausible Thesen, nach denen die Beerdigung am 06. Dezember abends geschah, genauso plausibel läßt sich auch der 07. Dezember oder sogar der 08. Dezember begründen. Aber so oder so – Mozart findet seine Ruhe.

Dann geschieht erstmal nichts.


1808 – Siebzehn Jahre später

Tatsächlich sucht bzw. besucht Constanze Mozart das Grab ihres verstorbenen Mannes zum ersten Mal – da ist Mozart bereits 17 Jahre tot.
Als sich Mozarts Witwe im Jahr 1808 endlich aufrafft, sein Grab zu (be-)suchen, kann der diensthabende Totengräber leider nur noch vage Angaben zur Position der Grabstelle machen. Constanze erfährt nur:

„daß der Todtengräber, dem dieses Geschäft 1791 oblag, schon seit längerer Zeit gestorben sey, daß diese Gräber von dem gedachten Jahr bereits wieder umgegraben worden wären, und daß man die zum Vorschein gekommenen Gebeine nicht aufzuhäufen, sondern wieder in die Erde einzuscharren pflegte. Es blieb also nichts übrig, als sich nach den Reihen zu erkundigen, in welchen im J. 1791 die Ruhestätten der Todten bereitet wurden.

Nur diese konnte uns der Todtengräber angeben, nämlich die dritte und vierte, wenn man von dem Monumentalkreuze, welches mitten auf der Höhe des Gottesackers aufgerichtet ist, herabkommt.“

Zit.nach: Brauneis, Walther: Mozarts Begräbnis. In: Zaubertöne. Mozart in Wien 1781-1791. Wien, 1990. S. 544.


25. Juli 1829 – Wieder Einundzwanzig Jahre Später

Am 25. Juli 1829 macht sich ein Mozart-Verehrer auf den Weg, Mozarts Grab zu finden. Das ist 21 Jahre nachdem Constanze danach gesucht hatte. Aber immer noch sehr lange bevor irgendein Wiener anfängt, darüber nachzudenken, wie man Mozart einen Grabstein bzw. Gedenkstein setzen könnte.

25. Juli [1829], Sonnabend. Es wurde mir gesagt, daß man von Mozarts Grabstätte nicht mehr wüßte, als daß sie sich auf dem Friedhof von St. Marx befinde, einer kleinen Kirche, die früher zu einem Nonnenkloster gehört hatte; daß kein Stein noch ein anderes Zeichen das Grab dieses Genies andeutete und daß niemand mir zeigen könnte, wo er bestattet ist.

Da ich mich aber gern aus eignem Augenschein überzeuge und urteile, beschloß ich, nach St. Marx zu gehen und zu sehen, was ich erfahren könnte. Ich stand daher um halb sechs Uhr auf und fand schließlich nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten die Kirche, die am äußersten Ende einer obskuren Vorstadt liegt. Ich langte um 7 Uhr ein und war froh, daß die Messe eben begann und ich den Sakristan ansprechen konnte.

Auf meine Frage, ob dies St. Marx sei, wo Mozart begraben sei, erwiderte er, dies sei wohl St. Marx, aber von Mozart wußte er nichts und konnte mir keine Auskunft über die Grabstätte geben. […]

Ich betrat jeden Weg und jedes Stückchen Erde mit der größten Verehrung, aber es ist nicht bloß kein Stein mit seinem Namen zu finden, sondern auch kaum eine Spur irgendeines Grabes. Die Inschriften auf den alten Steinen sprechen von irgendwelchen unbekannten „Bürgermeistern“und Geistlichen des ehemaligen Klosters. […]

Die Berichte, die ich gehört, waren nur allzu wahr. Blumen gab es keine, sonst hätte ich einige gepflückt. So nahm ich mir ein paar grüne Blätter als Erinnerung an diesen traurigen Ort mit.

Ich kehrte zurück voller Abscheu über die Gleichgültigkeit, die herzlose Undankbarkeit und schändliche Vernachlässigung, die dem großen Manne von der Mehrzahl seiner Landsleute und besonders von den Wienern zuteil wurde.

Medici di Marignano, Nerina/ Hughes, Rosemary (Hrsg.): Eine Wallfahrt zu Mozart. Die Reisetagebücher von Vincent und Mary Novello aus dem Jahre 1829. Bonn 1959. S. 139ff


1855

Tatsächlich erinnert sich Wien. 1855, ein Jahr vor Mozarts hundertstem Geburtstag, gibt der Wiener Bürgermeister schließlich den Auftrag, die möglichst exakte Position von Mozarts Grab zu finden und zu kennzeichnen.

Typisch Wien wird dann eine amtliche Untersuchung eingeleitet, und nach der Auswertung von Aussagen verschiedener Personen und einer Begehung des Friedhofs entscheidet man sich für eine ungefähre, bis heute umstrittene Stelle im Bereich der vermuteten dritten und vierten Schachtgräberreihe, an der sich Mozarts Gebeine laut Protokoll zumindest „mit größter Wahrscheinlichkeit“ befinden könnten – und lässt dort ein Grabmal, ein Scheingrab errichten.

Aber es wird nicht zum 100. Geburtstag 1856 enthüllt. Erst am 06. Dezember 1859 (das ist ganze vier Jahr später).

Das ist Mozarts erstes Grabmal. Vorher gab es – nichts.
Es dauert tatsächlich fast sechzig Jahre bis man in Wien einem der größten Künstler der europäischen Kulturgeschichte einen Gedenkstein setzt.

Grabdenkmal für Mozart auf dem Wiener Zentralfriedhof
Grabdenkmal für Mozart auf dem Wiener Zentralfriedhof

1874

Der Friedhof wird geschlossen.

Nach der Schließung wird er jahrzehntelang nicht mehr gepflegt. Er verwildert.


1891

Anlässlich des 100. Todestages bauen die Wiener das vor knapp 30 Jahren gerade erst aufgestellte Grabmal Mozarts wieder ab. Es wird auf den Wiener Zentralfriedhof gesetzt. Die Grabstätte auf dem St. Marxer Friedhof bleibt leer. An einen Ersatz denken die Wiener nicht.

An der nun zum 100. Todestag (!) wieder schmucklosen, wüsten, nicht mehr gekennzeichneten Stelle von Mozarts vermeintlicher Grablege errichtet schließlich ein Friedhofswärter ein Grabmal. Ohne offiziellen Auftrag.

Er errichtet es aus dem, was er dort findet: aus den Resten anderer, aufgelassener Gräber und Grabsteine.

Ein unbekannter Friedhofswärter.

Sankt Marxer Friedhof Mozartgrab
Sankt Marxer Friedhof Mozartgrab

HEUTE

Mozart – unter der Autobahn.

Wer sich heute aufmacht, um zum Grab Mozarts zu kommen, den wird ein mindestens trauriges, eigentlich bestürzendes Bild erwarten.

Der 1874 stillgelegte Friedhof liegt mittlerweile mehr oder weniger direkt unter einem gigantischen Autobahnkreuz.

Der Friedhof ist im Osten, Westen und Süden vollständig von Autobahnen umgeben, im Norden verläuft eine S-Bahn-Linie und eine stark befahrene Straße.

Der Autobahnabschnitt rund um den St. Marxer Friedhof ist laut amtlicher Statistik aus dem Jahr 2018 der am meisten befahrene Straßenabschnitt in ganz Österreich.

Der Lärm und die nähere Umgebung (ein Industriegebiet) sind erschreckend.

Und genau da liegt Mozart. Da liegt er.
Wolfgang Amadé Mozart. Permanenter Lärm. Mit einem zusammengeklaubten Grabstein.