Prinz Louis Ferdinand von Preussenund Johann Ladislaus Dussek.

Irgendwann vor zwei Jahren bekam ich die sehr nette Anfrage, ob ich nicht einen Programmtext schreiben könnte für ein Konzert der Musikfestspiele Potsdam Sanssouci. Das fand ich herrlich, denn dort hatte man tatsächlich ein Kammerkonzert programmiert, mit großartiger Musik Johann Ladislaus Dusseks und Louis Ferdinands von Preussen. Also ab ans Werk, dachte ich mir, schreib mal wieder etwas über die beiden. Das hatte ich ewig nicht mehr getan.

IN FREUNDSCHAFT (?)

Wo will man da anfangen? Vielleicht mit dem Ende:

Prinz Louis Ferdinand von Preußen: Geboren 1772, ein Neffe (manche sagen: der Lieblingsneffe) Friedrichs des Großen, zugleich ein vom preußischen Heer bewunderter Offizier und ein Romantiker mit Haut und Haar. Fürst Charles Joseph de Ligne schrieb über ihn (nachdem die beiden sich bei dem großen Beethoven-Mäzen Fürst Lobkowitz in Böhmen kennen gelernt hatten):

„Der Prinz Louis Ferdinand […] ist ein Held für einen Roman, die Weltgeschichte oder eine Sage. Damals erblickte man in ihm einen Halbgott. Durch seine Liebenswürdigkeit, seine Anmut und seinen Leichtsinn ist er Mars, Adonis und Alkibiades in einer Person.“

Prinz Louis Ferdinand von Preußen stirbt mit nur 34 Jahren am 10. Oktober 1806 einen sinnlosen Tod in einem Vorhut-Gefecht der preußischen Armee gegen die heranrückende Grande Armée Napoleons bei Saalfeld (die Heldenverehrung Louis Ferdinands wird nach seinem Tod riesig werden). Der Untergang Preußens in den Schlachten von Jena und Auerstedt findet vier Tage später statt.

Prinz Louis Ferdinand v. Preußen
Porträt von Jean-Laurent Mosnier
1799

Zwei Monate dem Tod Louis Ferdinands schreibt nun der „Musicus Dussek“ an die Mutter des Prinzen. Er möchte Geld (für eine Reise nach Wien).

Dem Vater Louis Ferdinands ist das Ganze nicht geheuer – „dieser Mann hat sich verschiedene Jahre bei meinem seel. Sohne, dem Prinzen Louis, aufgehalten, aber nichts anderes als das Eßen von Ihm erhalten“.

Daß Johann Ladislaus Dussek dem zwölf Jahre jüngeren Louis Ferdinand in den letzten Jahren einer seiner wichtigsten Gefährten geworden war, das kam dem alten, knausrigen Vater des Prinzen nicht in den Sinn. 

In welchem Verhältnis die beiden Männer aber tatsächlich zueinander standen, ob Dussek wirklich nur Kost und Logis beim Prinzen erhielt, das alles läßt sich heute nur schwer rekonstruieren. Erst nach dem Tod Prinz Louis Ferdinands wird Dussek sich selbst als dessen „gewesener Capellmeister“ bezeichnen.

Ob sie Freunde waren?
So weit würde man wahrscheinlich nicht gehen können. Der Standesunterschied ist zu groß. In jedem Fall aber waren sie Kumpanen.


Beginnen wir also vorne:

Johann Ladislaus Dussek wird 1760 in einem Dorf in Böhmen geboren. Sein Vater ist dort Kirchenmusiker. Dussek wird neben Beethoven und Clementi zu einem der bedeutendsten Klavierkomponisten der Jahrhundertwende (um 1800) werden. Er wird weit vor Beethoven (und vor Clementi) eine kompositorische Qualität und elegische Tiefe erreichen, die erst für das Spätwerk Beethovens oder dann das Werk Schuberts oder Schumanns prägend wird.

Dussek wird zu seinen Lebzeiten (vor allem im napoleonischen Paris) zu einem der meist gespielten Klavierkomponisten überhaupt werden. Warum wir ihn bzw. seine vielen Kompositionen heute nur noch so selten auf den Konzertprogrammen finden, ist tatsächlich kaum nachzuvollziehen.

Sein Leben allerdings verläuft gelinde gesagt abenteuerlich. Fast ein Roman.

Johann Ladislaus Dussek beginnt seine Karriere als Klavierlehrer und konzertierender Virtuose. Das gelingt nicht immer. Sein Tun führt ihn quer durch Europa: Amsterdam, Den Haag, Hamburg, St. Petersburg, Berlin, Kassel, Frankfurt (um nur einige Stationen zu nennen). 1786 kommt er nach Paris – und bleibt dort zunächst (mit Unterbrechungen).

Sonata für Klavier und Violine mit Violoncello ad libitum,

Op.8 no.1, in C-Dur

Wie immer bei Dussek ist dieses dreisätzige Werk in teilweise verschiedenen Versionen bei unterschiedlichen europäischen Verlagen und mit unterschiedlichen Zählungen der Opus-Nummern erschienen. Was wir aber annähernd wissen: es ist im Jahr 1789 (oder sogar etwas früher) entstanden.

1789 – das ist nicht nur das Jahr der französischen Revolution: Dussek ist mittlerweile 29 Jahre alt und hat – geschickterweise – Paris rechtzeitig (nur Wenige Wochen vor dem Sturm auf die Bastille) in Richtung London verlassen (in den Jahren zuvor hatte er in Paris nicht zuletzt auch vor und für Marie Antoinette konzertiert). 

Noch in Paris aber, vor seiner Abreise, erscheint 1789 die Erstausgabe dieser kleinen Violinsonate als Dusseks Opus 8. Gemeinsam mit zwei weiteren Sonaten.

Berlin, Unter den Linden, 1784
(Blick vom Schloß mit Kronprinzenpalais, Zeughaus und Oper. Das Brandenburger Tor existiert noch nicht)

1789

– das ist auch das Jahr, in dem der überschuldete Wolfgang Amadé Mozart, der in Wien nicht weiter kommt, eine eher schlecht vorbereitete Reisen nach Berlin an den preußischen Hof macht (ungefähr zu der Zeit, in der die Violinsonate Dusseks entsteht), um dort „fürwahr viel Ehr und Ruhm“ zu erleben.

Der preußische König Friedrich Wilhelm II. wird ihn aber noch nicht einmal empfangen – obwohl Mozart es gleich zweimal bei ihm versucht (einmal im April in Potsdam und drei Wochen später in Berlin). Sofort nachdem Mozart dann wieder in Wien ist, muß er sich erneut Kredite erbetteln. Große neue Opern stehen 1789 nicht an. Eine Wiederaufnahme des „Figaro“ ist alles.

Hat Mozart in Berlin den jungen, damals siebzehnjährigen Prinz Louis Ferdinand von Preußen getroffen? Möglicherweise. Jedenfalls wird Mozarts Witwe, Constanze, dem Prinzen gleich sechs Klavierkonzert ihres verstorbenen Mannes widmen, als diese elf Jahre später (im Jahr 1800) erscheinen.

Dusseks Violinsonate op. 8 ist pure, ganz entfernt an Mozarts oder Haydns frühe Werke erinnernde „Wiener Klassik“. Reine Spielfreude und Freude an der Form. Sie gehört zur Gattung der „begleiteten Klaviersonaten„, bei denen die musikalische Substanz hauptsächlich für das Tasteninstrument konzipiert ist, wobei ein obligates Melodie-Instrument (wie hier die Geige) eine Oberstimme hinzufügt oder verdoppelt.


Erster Satz:

(C-Dur) Nach einer seichten, klassischen Einleitung geht es los: Auftaktakkord, rauf geht’s mit einem Motiv, das schnell wieder in sich zusammenfällt. Danach lässt Dussek die Gedanken laufen. Einen nach dem anderen. Er nutzt aber auch viele Wiederholungen. Immer stark auf sein Hauptinstrument, das Klavier, fokussiert. 

Zweiter Satz:

(c-moll) Ein ernsthafter, intimer, zurückgezogener Satz, „sostenuto cantabile“ – im 6/8 Takt – der im Zentrum der Sonate steht. Die Geige singt ein tiefes, melancholisches, liedhaftes Thema und ist in diesem Satz dem Pianisten ein gleichberechtigter Partner.

Dritter Satz:

Ein „Rondo Cozaque“ (zurück in C-Dur). So etwas hört man selten. In einer zeitgenössischen Rezension heißt es:

Die Sonate sei „reich an neuen Gedanken und Spuren des großen musikalischen Genies des Autors. Sehr brillant, und dem Instrument angemessen. Die Begleitung der Violine ist so künstlich mit der Klavierstimme verbunden, dass beide Instrumente in ständiger Aufmerksamkeit gehalten werden; so dass diese Sonaten einen Violinspieler erfordern, der ebenso geschickt ist wie ein Klavierspieler.“


 Quartett für Klavier, Violine, Viola und Violoncello,

op. 56, in Es-Dur.

Ganz anders nun das Quartett für Pianoforte, Violine, Viola und Violoncello in Es-Dur, op. 46. Da ist hörbar etwas passiert. Eine andere, eine neue musikalische Welt. 

Dieselbe vordergründige Leichtigkeit, zur Schau gestellte Virtuosität, sie hat auf einmal eine irrationale Tiefe.

Das Quartett schreibt Johann Ladislaus Dussek im Jahr 1803 – so ist es auf dem Autograph von ihm selbst vermerkt. 14 Jahre nach seinem Opus 8. Dussek ist mittlerweile 43 Jahre alt – und er hat viel erlebt in diesen Jahren seit der französischen Revolution.

Das Quartett erscheint (wir sind es schon gewohnt) in diversen Versionen und mit sehr verwirrenden Opus-Zählungen (u.a. Op. 46, Op. 56 oder Op. 53.). Allen gemein aber ist folgendes: 

Das Quartett ist „composé et dedié a Son Altesse Royale Monseigneur le Prince Louis de Prusse.

Aus Paris war Dussek nach London abgereist. Dort heiratet er, wird einigermaßen sesshaft. Er wird der führende Klaviervirtuose der Stadt und er wird Unternehmer (nicht sehr erfolgreich). 1799 flieht er deshalb aus London, wo er zusammen mit seinem Schwiegervater und dem schillernden Lorenzo Da Ponte (Librettist von Mozarts großen Opern) mittlerweile einen Bankrott hingelegt hatte (der Schwiegervater muß deswegen in Haft). Dussek läßt seine Frau und seine vierjährige Tochter hinter sich und haut ab (er wird sie nie wieder sehen). Für die Jahre zwischen 1799 und 1803 sind dann nur wenige Daten aus dem chaotischen Leben Dusseks bekannt.

Erst ab 1804 wird er zur ständigen Entourage Louis Ferdinands von Preußen gehören. Was also steckt hinter dieser Widmung des Quartetts an den Prinzen schon ein Jahr früher, 1803? Wie kommt es dazu?

Die Flucht Dusseks aus London führt ihn zunächst in die liberale, weltoffene Freie Hansestadt Hamburg. Und hier nun kreuzen sich Anfang des Jahres 1800 die Wege Johann Ladislaus Dusseks und Prinz Louis Ferdinands von Preußen zum ersten Mal.

Hamburg,
Das Millern-Thor in Hamburg im Jahre 1800 von aussen

1800

Denn auch Louis Ferdinand war abgehauen. Ende 1799 verläßt er seinen Regimentsposten (auf den er sozusagen strafersetzt worden war) in der hintersten Ecke der preussischen Provinz (Hoya in Westfalen) und reist heimlich und ohne Genehmigung seiner Eltern oder gar des Königs oder des Generalkommandos nach Hamburg. 

Dort erlebt Louis Ferdinand Freiheit. Großstadt. Musik. Frauen.

Er verkehrt mit „Jakobinern und Demokraten“. Ein preußischer Prinz jenseits aller Konventionen, der aus Geldnot sogar seinen schwarzen Adlerorden zum Pfandleiher bringen wird. 

Das bleibt nicht lange unentdeckt und muß Ärger geben. Schon im Januar 1800 kommt der Befehl des Königs, sich „unverzüglich“ wieder zur Armee zu begeben. Als Louis Ferdinand dem nicht folgt, kommt Mitte Februar ein Offizier um ihn abzuholen.

In diesen wenigen Wochen in Hamburg aber hatten sich Louis Ferdinand und Dussek nicht nur kennen gelernt, sondern auch begonnen musikalisch miteinander zu arbeiten. „[Ich] brachte einen großen Teil meines Tages damit zu, Kompositionsunterricht bei Dussek […] zu nehmen“, schreibt Louis Ferdinand damals an seine Schwester.

Woher Louis Ferdinand seine überragenden pianistischen Fähigkeiten hatte, ist bis heute nicht genau nachzuvollziehen, sein Talent, seine Spielart, seine Virtuosität gehen aber – wenn man die Urteile seiner Zeitgenossen hinzuzieht – meilenweit über das eines dilettierenden Aristokraten hinaus. Sogar Beethoven (Louis Ferdinand hat mehrfach Kotakt mit ihm – und der junge, aufstrebende Beethoven wird dem Prinzen nicht nur sein drittes Klavierkonzert widmen, sondern auch die dritte Sinfonie, „Eroica“) hebt das hervor. Einmal vergleicht er das Klavierspiel des Prinzen mit dem Friedrich Heinrich Himmels (der war zu dieser Zeit immerhin der preußische Hofkapellmeister und ein berühmter Klaviervirtuose): Himmels „Klavierspiel sei elegant und angenehm, allein mit dem Prinzen Louis Ferdinand sei er gar nicht zu vergleichen.“ 

Für das gesamte Jahr 1803 gibt es in Dusseks Biographie nur zwei gesicherte Daten. Eine dieser beiden bekannten Daten für 1803 ist eine Reise Dusseks nach Böhmen. Auch wenn keinerlei Informationen darüber vorliegen, liegt die Vermutung nahe, daß er auf dieser Reise eine Zwischenstop in Magdeburg (auf dem Gut des Prinzen) oder in Berlin gemacht haben könnte, um dort Louis Ferdinand zu treffen – und hieraus die oben erwähnte Widmung resultiert.


1. Satz:

Allegro affettuoso – Ein ruhiges, lyrisches erstes Thema. Aber Dussek beginnt sofort damit zu arbeiten, das Thema auszuweiten. Im Zentrum immer ein virtuoser Klavierpart, die Tastatur hoch und herunter laufend. Das zweite Thema, ebenfalls zurückhaltend, etwas verträumt tänzelnd.

In der „Allgemeinen Musikalische Zeitung“ wird Dusseks Klavierspiel folgendermaßen charakterisiert: es sei „bis zum Erstaunen fertig, ist sicher, feurig, überhaupt affektvoll, es ist durchaus, was man jetzt das grosse Spiel nennet, um es durch diesen Namen zunächst von dem galanten, zierlich weichlichen zu unterscheiden.“ Das ist hier hörbar.

2. Satz:

Ein Larghetto (quasi Andante). Im Gegensatz zum ersten Satz, in dem das Klavier so sehr im Vordergrund stand, finden wir in diesem Satz eher ein Streichquartett mit Klavierbegleitung. Dussek setzt uns in eine Welt aus As-dur und gibt den Streichern folgende Vorgabe: „Con sordino senza fallo“. Die Streicher sollen also mit Dämpfer gespielt werden… Dieser langsame, sangliche Satz enthält große Gedanken in langen Phrasen, die immer wieder überraschend moduliert werden.

3. Satz:

Ein Rondo (Allegro Moderatissimo alla Breve) wieder in Es-Dur und wieder mit dem höchst virtuosen Klavier im Vordergrund: Das immer wiederkehrende Ritornell-Thema erinnert ein bißchen an ein Mozart-Thema. Der Pianist kann brillieren. Doch auf einmal bricht Dussek die Leichtigkeit, auf einmal hält er inne: Mitten in die großen Läufen des Pianisten setzt er plötzlich eine Generalpause.
Danach eine in acht Takten formulierte Frage, in großer Ernsthaftigkeit – bevor genauso unvermittelt wieder das Ritornell-Thema einsetzen wird – allerdings nicht mehr in derselben Leichtigkeit wie zuvor.


Louis Ferdinand von Preussen.

Quartett für Klavier, Violine, Viola und Violoncello in f-Moll, op.6.

Wieder eine neue Welt. Schon in den Ausmaßen wird klar – hier hat sich erneut etwas verschoben: Vier Sätze und eine Gesamtspieldauer, die fast doppelt so lange ist, wie die Dauer von Dusseks Quartett, op 56.

Das Quartett, eines der Meisterwerke des Prinzen ist höchstwahrscheinlich irgendwann in den Jahren 1803 bis 1804 komponiert worden. Es erscheint noch zu Lebzeiten Louis Ferdinands im Jahr 1806 als dessen Opus 6 bei Breitkopf – was im Grunde eh schon eine Sensation ist. Ein preußischer Prinz stellt sich, sein musikalisches Werk der kritischen Öffentlichkeit.

Gutshaus Schricke
Das Landgut Louis Ferdinand von Preußen in der Nähe von Magdeburg. Aufnahme von ca. 1920

1804

Das ist nicht zuletzt auf das Wirken Dusseks zurückzuführen, der ab Mai 1804 (bis zu Louis Ferdinands Tod) als dessen Lehrer, Kammermusikpartner, Gesellschafter und Zechkumpan nicht mehr aus der Entourage des Prinzen wegzudenken ist. Dussek übernimmt ab 1804 auch die Herausgabe der Werke des Prinzen. Der Prinz und er verstehen sich gut, wie Louis Ferdinands Adjutant es später schildern wird:

„[…] um 6 Uhr Tafel. Hier erwarteten uns Frauen und die Gesellschaft munterer Männer […] Ausgewählte Speisen und guter Wein, besonders Champagner […], stillte Hunger und Durst, doch das Mahl […] wurde durch Musik und den Wechsel heiterer Erholung weit über das gewöhnliche Maß verlängert. Neben dem Prinzen stand ein Piano. Eine Wendung und er fiel in die Unterhaltung mit Tonakkorden ein, die dann Dussek auf einem anderen Instrument weiter fortführte. So entstand oft zwischen beiden ein musikalischer Wettkampf, ein musikalische Gespräch konnte man es nennen, das alle durch Worte angeregte Empfindungen der Seele in bezaubernden Tönen lebhafter fortklingen ließ.“

In den Jahren zwischen 1800 und 1804 fallen in die Biographie Prinz Louis Ferdinands eine lange Reihe an wichtigen Ereignissen, die prägend gewirkt haben müssen. Aus dem ungestümen achtundzwanzigjährigen Prinz, der aus Hamburg abgeholt werden mußte, war ein unabhängigerer, selbständigerer und reiferer Mann geworden, der sich noch im Jahr 1804 anschickte, eine diplomatische Mission anzutreten, die ihn schließlich zum Zentrum einer gegen König Friedrich Wilhelm III. opponierenden Fronde werden lassen sollte. 

Louis Ferdinand war in diesen Jahren zum Großgrundbesitzer geworden. Durch das Erbe seines Onkels (Prinz Heinrichs) besaß er nun endlich eine finanzielle Grundlage. Er hatte die Bekanntschaft mit den für seine Biographie bedeutendsten Frauen gemacht: Rahel Levin, Pauline Wiesel und Henriette Fromme. Und: Louis Ferdinand war Vater geworden.

Die Sonderstellung des Louis Ferdinands an der Schwelle (oder bereits dahinter) der klassischen zu einer romantischen Periode, die sowohl musikalisch als auch biographisch nachweisbar ist, macht sein musikalisches Werk zu einer Preziose. Er ist einer der sehr wenigen Vertreter einer deutschen, musikalischen Frühromantik. Das Quartett op.6 ist dabei das wohl bekannteste Werk des Prinzen und vielleicht auch das „romantischste“.


1. Satz:

Der erste Satz (Allegro moderato) folgt der Sonatenhauptsatzform, aber sie hilft uns nicht weiter. Zentral für diesen Kopfsatz ist die Fülle der Motive, das Auftauchen und Verschwinden musikalischer Gedanken – Modulationen (permanent) und Motivverarbeitungen (pausenlos) sind nicht nur der Durchführung vorbehalten. Der Satz, die Musik ist dunkel – das wichtigste Vortragszeichen: piano.

2. Satz/ 3. Satz:

Der zweite Satz (Agitato), ein Menuett mit zwei Trios, ist ebenso wie der dritte Satz (Adagio lento e amoroso) von teils rhapsodischen, teils streng gearbeiteten Partien geprägt. Die romantische Dunkelheit auch dieser beiden Sätze gipfelt im dritten Satz in einer Kadenz des Pianisten. Die steht ungewohnt nahezu im Zentrum des gesamten Satzes. Auch wenn die Kadenz die musikalischen Gedanken des Satzes wieder auf das Thema zurückführt, entsteht anschließend eine bedrückende Stimmung, die zuletzt durch die melodisch immer tiefer sinkende Stimmführung gleichsam stirbt.

4. Satz:

Große Musik. Wer bisher nicht von Louis Ferdinands Bedeutung als Komponist überzeugt war – spätestens jetzt wird es geschehen.
Der Satz ist prinzipiell in einer Rondoform komponiert, eine Form, die Louis Ferdinand häufig nutzt. Dieser Schluß-Satz des Quartetts op.6 bleibt aber entgegen unseren Hör-Erwartungen und der spätestens durch Beethoven perfektionierten Umdeutung der Beziehungsgeflechte zwischen den Sonatensätzen (mit einer wuchtigen Bedeutungserhöhung des letzten Satzes als einer Art Apotheose aller bisherigen Gedanken), er bleibt bei Louis Ferdinand düster. Selbst wenn im Zentrum des Satzes eine „Majore„-Teil steht, der das Hauptthema „dolce assai“ in der Dur-Variante präsentiert.

Sogar das Ende des Satzes, der Schluss des gesamten Quartetts, bleibt dunkel. Louis Ferdinand von Preussen entläßt uns mit sehr tiefen, „morendo“ zu spielenden Anklängen des Hauptthemas, die eher in der Dunkelheit versinken als glanzvoll strahlen. Man wird gefangen in diesen scheinbar ewig strömenden Musik – ganz langsam wird sie sterben.


Louis Ferdinand von Preußen war kein „Dilettant im alten Sinne„, keiner der typischen musikbegeisterten Aristokraten des 18. Jahrhunderts. Die königliche Abstammung steht einer neutralen Betrachtung des musikalischen Könnens und Schaffens Louis Ferdinands eher im Weg, sie schafft uns heute unbewußt Vorverurteilungen. 

Vielleicht hilft ein Hinweis darauf, daß Themen dieses Quartetts Op.6 u.a. von Franz Liszt verwandt wurden, der 1847 eine Elégie sur des motifs du Prince Louis Ferdinand komponierte. Oder Robert Schumann, der eine vierhändige Klaviervariationen über ein Thema dieses Op.6 komponierte. Oder seine Frau, Clara, die ihm schreibt (nachdem sie das Quartett vor Mendelssohn durchgespielt hatte), das es „oft einen romantische Anstrich“ bekomme.

Das ist etwas, was uns bis heute fasziniert: Franz Schubert war sechs Jahr alt, als Louis Ferdinand den Vorhang in die musikalische Romantik zur Seite schiebt und in diesem Quartett Musik vorwegnimmt, die dieser erst zwanzig Jahre später vollendet.

Robert Schumann wird viel später entsprechend notieren, es seien

„auf die neue Musik vor allem Franz Schubert und Prinz Louis Ferdinand von Preußen, ein paar höchst poetische Naturen, von großem Einfluß“ gewesen.

Tobias Debuch, 2023.